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R.Kühn

keep calm and carry on!

Ruhebewahren und weitermachen! - Das war das Motto mit dem die britische Königin ihre Bürger zur Besonnenheit aufforderte, nachdem die Luftwaffe der Nazis begonnen hatte, englische Städte zu bombardieren. Ohne ein besonderer Freund der britischen Monarchie zu sein, kommt einem dieser Satz bei der aktuellen Flüchtlingsdebatte in den Sinn. Das hysterische Spiel, das in den letzten Wochen mit und durch die öffentliche Meinung wabert, ist ein Trauerspiel.

Der Mangel an Besonnenheit vereint in gewisser Weise die Gegner und Befürworter der Zuwanderer aus den Kriegsgebieten des 21. Jahrhunderts. Die Gegner entblöden sich nicht, die dünne Schale des zivilisierten Verhaltens mit einem Federstrich (oder manchmal auch einem Steinwurf) zu zerbrechen. Viktor Klemperer hätte heute seine Studien bei der AfD nahtlos fortsetzen können.

Die in unserer Partei leider nicht allzu weit verbreitete kritische Theorie hat bei ihren Studien in der Mitte des letzten Jahrhunderts die heutigen Gegner der Flüchtlinge ganz gut mit dem Begriff „konformistischer Rebell“ charakterisiert. Dieser „Rebell“ ist eine „Radfahrernatur“ – d.h. er strampelt sich nach oben ab und tritt nach unten.

„Der ambivalente Wunsch, der Autorität anzugehören und sich ihr gleichzeitig zu unterwerfen, führt gemäß der damaligen Auffassung weiterhin dazu, dass das schwache Ich seine Aggressionen gegen Fremdgruppen richten muss, weil es nicht in der Lage ist, sie gegen Autoritäten der eigenen Gruppe zu richten. Indem das schwache Ich sich zum Mitglied eines geschichtsmächtigen Kollektivs phantasiert, setzt es sich zugleich ins Einverständnis mit der Autorität der eigenen Gruppe. Dieser Mechanismus erklärt, warum das schwache Ich als autoritäres nur auftritt, wenn es sich des heimlichen oder ausgesprochenen Einverständnisses der Autorität der Eigengruppe gewiss sein kann. Es rebelliert, aber es rebelliert konformistisch.“*

So sind sie, die AfD-Rebellen und ihre „besorgten Bürgerfreunde“.

Deutschland war seit je her auch eine Radfahrernation.

Die Befürworter unterschätzen ihrerseits die Risiken der Entwicklung. Es muss allen Beteiligten klar sein, dass massiv Ressourcen auf allen Ebenen aktiviert werden müssen, um den Menschen, die zu uns kommen ein würdiges Leben ansatzweise möglich zu machen. Dass hier die Regierung schweigt, macht sie anfällig für Misstrauen.

Die meisten von uns leben bisher ganz gut in der „Komfortzone des Kapitalismus“, und wenn wir ehrlich zu uns sind und uns in die Situation der Flüchtlinge versetzen, würden sicher viele von uns die gleiche Entscheidung zur Flucht treffen.

Westeuropa ist keine Insel, und alle Menschen haben Recht auf Sicherheit und Glück. Sprechen wir es ihnen ab, erwarten wir, dass sie brav an den Grenzen Europas ertrinken oder sich fügsam in ihren zerstörten Städten von zynischen Diktatoren und irren Milizen zusammenschießen lassen.

Wir sollten uns darüber klar sein, ohne die notwendige Besonnenheit zu verlieren. Es wird eine verdammt schwierige Aufgabe, es wird Rückschläge, völlig Unerwartetes und gänzlich Unerfreuliches geben. Dennoch gibt es keine vernünftige Alternative dazu, den Zugezogenen und Zugewiesenen in aller Besonnenheit das Gefühl zu vermitteln: „Willkommen in der Bundesrepublik. Hier ist auch nicht alles Gold, was glänzt. Die Besitzenden haben auch hier oft ein Interesse daran, dass der eine Arme dem anderen sein Feind ist. Wenn wir uns einigen können, kriegen wir es vielleicht hin, dass es für alle besser wird.“

Und Radfahren kann trotzdem eine tolle Freizeitbeschäftigung sein..

R. Kühn

 

*1 Jan Weyand: Zur Aktualität der Theorie des autoritären Charakters. In: jour fixe initiative berlin (Hrsg.): Theorie des Faschismus – Kritik der Gesellschaft. Münster 2000. S. 57.