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Dr. R. Barthel

Faule Tricks um das Abwasser-Unrecht

Seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (öffentlich bekannt geworden am 17. Dezember 2015), mit dem die nachgeschobenen Abwasser-Beitragsforderungen für altangeschlossene Grundstücke als grundgesetzwidrig bewertet wurden, warten die betroffenen Bürger auf eine Entscheidung über die Rückzahlung der unrechtmäßig eingetriebenen Gelder.

Die Landesregierung trägt in diesem Fall die Hauptverantwortung. Innenminister Schönbohm (CDU) hatte 2003 jene Änderung ins Kommunalabgabengesetz gedrückt, die die faktisch unbegrenzten Nachforderungen überhaupt erst ermöglichten. Das wurde vom höchsten Gericht der Bundesrepublik als konstitutive Änderung der Rechtslage bewertet, deren Anwendung eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung entfalte. Folglich sind auch die Anwendungen (also die nachgeschobenen Beitragsforderungen) verfassungswidrig. Das macht logischerweise eine Korrektur der von der Landesregierung geschaffenen Unrechtslage und deren Folgen unumgänglich.

Die Regierenden in Potsdam haben es mit der Wiederherstellung des Rechts aber nicht so eilig. Gegen Ende Januar 2016 warnte das Innenministerium erst einmal die Wasserverbände vor übereilten Zusagen und vorschnellen Entscheidungen. Sie selbst entscheiden nichts, sondern vertrösten auf ein (vielleicht noch 2016 entstehendes) Gutachten.

Das berlin-brandenburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) kam allerdings nicht umhin, sich nochmals mit dem strittigen Ursprungsfall zu beschäftigen, war aber dabei per Gesetz an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Es ließ sich dennoch nicht davon abbringen, wenigstens etwas zur Erhaltung von Resten des ungültigen Rechts beizutragen. Gegen Ende des Urteils (unter Rn 38) behandelt es die Folgerungen aus § 79 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes für spezielle Fälle, in denen Grundstücke erst nach 1990 an die Schmutzwasserkanalisation angeschlossen wurden. Es handelt sich dabei nicht um die Fälle der Altanschließer!

Gänzlich unvermittelt und ohne jeden inneren Zusammenhang folgt dann der Satz: „§ 79 Abs. 2 BVerfGG gilt im Übrigen für alle bestandskräftigen und „bezahlten“ Anschlussbeitragsbescheide, insbesondere für sogenannte Altanschließerbescheide.“  Das ist eine willkürliche, durch nichts belegte Behauptung, die sich auch nicht indirekt aus den vorangegangenen Erörterungen ergibt. Der Wasserverband Strausberg-Erkner berief sich in der öffentlichen Verbandsversammlung vom April genau auf diesen Satz, um die Aussichtslosigkeit der Rückzahlungshoffnungen zu begründen. Es gibt allerdings kein Gesetz, nach dem die Merkmale „bestandskräftig“ und „bezahlt“ ausreichen, einem unrechtmäßigen Beitragsbescheid irgendeine Rechtsgültigkeit zu verleihen.

Im März 2016 äußerte sich das brandenburgische Innenministerium erneut zum Umgang mit den zahlreichen Anträgen auf Rückerstattung der unrechtmäßigen Abwasserbeiträge. Viele dieser Anträge stützen sich auf den § 51 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVerfG), nach dem eine Rechtsänderung und entsprechende Anträge der Betroffenen ausreichen, um die erneute Prüfung der Bescheide zwingend erforderlich zu machen. Das ministerielle Rundschreiben verweist deshalb darauf, dass in Brandenburg bei Kommunalabgaben das VwVerfG ausdrücklich ausgeschlossen ist und stattdessen Teile der Abgabenordnung (AO) gelten.

Im schönsten Bürokratenstil verkündete dann Ministerialdirigent Keseberg: „Die nach § 12 KAG entsprechend zur Anwendung kommenden Vorschriften der Abgabenordnung enthalten ihrerseits keine dem Wiederaufgreifen des Verfahrens nach  § 51 VwVfG tatbestandlich entsprechende Regelung, so dass vorgenannte Anträge auch nicht hilfsweise auf Vorschriften der Abgabenordnung gestützt werden könnten. Anträge auf Wiederaufgreifen des Verfahrens sind daher durch die  Aufgabenträger unter Hinweis auf die o. g. Rechtslage zurückzuweisen.“  

In der Hauptaussage ist das eindeutig falsch. § 12 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) bestimmt ganz genau, welche Paragraphen der Abgabenordung für die Verfahren im Kommunalbereich gelten. In Absatz 1, Ziffer 3 b sind als geltend benannt: die §§ 118 bis 126 (2) und 127 bis 133. Wesentlich ist im vorliegenden Zusammenhang, dass die §§ 125 und 130 ohne jede Einschränkung zu dieser Gruppe gehören. Denn dort stehen genau die Vorschriften, die es nach Kesebergs Behauptung gar nicht gibt:

§ 130 (1): „Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.“
§ 125 (1): „Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist.“
 (5): „Die Finanzbehörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.“

Damit ist eindeutig eine rechtliche Grundlage für die Rücknahme der Abwasser-Beitragsbescheide gegeben: § 130 macht sie grundsätzlich möglich; § 125 macht die Rücknahme zwingend, wenn dazu der entsprechende Antrag eines Betroffenen vorliegt. Die notwendige Voraussetzung eines besonders schwerwiegenden Fehlers dürfte offenkundig sein, wenn der Bescheid auf einer verfassungswidrigen Bestimmung beruht und demzufolge selbst verfassungswidrig ist.

Zwar hat Herr Keseberg sein Rundschreiben mit einigen abschreckenden Warnungen bereichert, aber angesichts seiner erwiesenen mangelhaften Sorgfalt ist deren Gewicht zweifelhaft. Das gilt schon für seine Behauptung, Beschlüsse zu Rückzahlungen auf der Basis des § 130 der Abgabenordnung  dürften „im Regelfall rechtswidrig sein“, aber auch für seine Drohung, rechtswidrig könne schon der entsprechende Beschluss einer Gemeindevertretung sein, und die Zweckverbände könnten darauf mit Ersatzzahlungsansprüchen an die Mitgliedergemeinden in erheblicher Höhe antworten. – Kesebergs gesamter Text ist völlig einseitig nur auf die Abwehr der Bürgerforderungen ausgerichtet. Nach der ihm anscheinend gänzlich unbekannten Rechtslage ist jedoch die ausstellende Behörde durchaus berechtigt, über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids selbst zu entscheiden – vgl. oben, § 125 (5).

Die Obrigkeit bedient sich in diesem Fall einer unauffälligen, aber hinterhältigen Taktik: Die Regierung drückt mit Hilfe der ihr gefügigen Abgeordnetenmehrheit eine rechtswidrige Bestimmung ins Gesetz und drängt die kommunalen Instanzen durch Hinweise, Kommentare und Rundschreiben, nach der Neuerung zu verfahren. Als nach Jahren die Unrechtmäßigkeit der Rechtsänderung offenkundig wird, verkündet die Regierung: zu ändern ist daran nichts mehr, aber wenn jemand etwas ändert, dann sollen sich die kommunalen Instanzen miteinander darum streiten, wer die Folgen des Unrechts bezahlt. Wie immer sollen alle Lasten nach unten abgewälzt werden.